Dec 6, 2020
Kathrin Tordasi zählt zu meinen langjährigsten Schreib-Buddies und besten Freunden. Wir haben vor vielen Jahren miteinander ElfQuest- und Buffy-Fanfictions geschrieben und mit einer Urban Fantasy-Adaption des König Artus-Mythos geliebäugelt.
Ursprünglich stammt sie aus der Stuttgarter Gegend. Seit einigen Jahren lebt sie allerdings wie ich in Berlin. Was mich aus unzähligen Gründen sehr freut, unter anderem aber auch, weil wir dadurch beide unsere jeweiligen Buchprojekte gemeinsam feiern können.
Kathrins erste Romanveröffentlichung war Spiegelfluch und Eulenzauber, eine Märchenfantasy, die im Sommer im Drachenmond Verlag erschienen ist. Im Herbst folgte ihr erstes Kinderbuch Brombeerfuchs (Sauerländer), das sie eigentlich sogar zuvor geschrieben hatte.
Kathrin arbeitete u. a. auch am Brombeerfuchs, als ich im Nanowrimo 2016 an Rosen und Knochen schrieb. Ich erinnere mich, dass wir gemeinsam mit Tee an meinem Küchentisch saßen und uns gegenseitig Mut zusprachen. Ich kann nicht glauben, was seither alles passiert ist.
Was gleich geblieben ist, ist meine Begeisterung für den Brombeerfuchs, in dem zwei Kinder von keinem geringeren als Robin Goodfellow in die Feenwelt gelockt werden. Er will einfach nur in seine Heimat zurück und zunächst scheint es ihm egal, in was für ein gefährliches Abenteuer Portia und Ben dadurch verwickelt werden. Vor allem, als der Graue König aus seinem Schlaf zu erwachen droht, um alle Welten in Nebel zu ertränken ...
Im nachfolgenden Interview stellt sie uns das Buch und die Welt, in der es spielt, näher vor:
Liebe Kathrin, hinter der Feentür treffen deine Protagonisten Portia und Ben allerhand andersweltliche Gestalten: Vogelmenschen, Salamander, Feen … Was für ein Wesen würdest Du gern mal treffen und warum?
Alle, die du gerade aufgezählt hast 😊
Wenn ich mir allerdings bestimmte Wesen aussuchen müsste, dann würde ich gern mit den Salamandern Gwil und Meralyn Tee trinken und über die Geschichte der Anderswelt plauschen.
Das würde mir den Weltenbau beim Schreiben seeeehr erleichtern!
Welche Schlüsselworte und Farben beschreiben die Atmosphäre vom Brombeerfuchs für Dich am besten?
Freundschaft, Wohlfühlorte, Geheimnis & Gänsehaut. Die bekommt man sowohl wenn man bei Morgennebel auf eine Wiese hinausgeht, als auch, wenn man sieht, wie sich etwas im Nebel bewegt.
Was die Farben angeht:
Blau wie eine frühe Morgendämmerung, grün wie die Wiese und Apfelbäume in einem Landgarten, & kupferrot – wie das Fell eines Fuchses, der gerade unter der Brombeerhecke verschwindet.
Was magst Du an Portia und Ben besonders gern?
Die zwei sind mir auf ganz unterschiedliche Weise ans Herz gewachsen.
Ich mag Portias Neugier, ihren Entdeckerdrang. Sie ist impulsiv und das macht manchmal Schwierigkeiten. Gleichzeitig trägt sie ganz schön viel Verantwortung auf ihren jungen Schultern. Mir geht's da wie Robin: Am liebsten würde ich sie in den Arm nehmen und sagen, das wird schon alles!
Ben ist der Inbegriff von 'stille Wasser sind tief': Er vergräbt die Nase in Büchern, hält sich in Gesprächen eher zurück, aber in ihm drin geht ganz viel vor. Er fühlt sehr intensiv, hat eine blühende Fantasie & ein ganz großes Herz.
Würdest Du den Brombeerfuchs als Wohlfühlbuch bezeichnen – auch, wenn Deine Figuren teilweise sehr belastende Erfahrungen durchstehen?
Doch, schon. Das Leben ist ja auch so.
Manchmal passieren Dinge, die uns Angst machen, oder den Boden unter den Füßen wegreißen. Dann fühlen wir uns plötzlich unsicher und verloren.
Im Brombeerfuchs geht es darum, wie man sich selbst wieder zusammensetzt und wie man wieder Vertrauen in sich selbst und andere fasst.
Es geht um die Leute, die man auf so einem Weg trifft. Um Freunde, mit denen man nicht gerechnet hat und die einem ein Gefühl von Geborgenheit zurückgeben.
Und wenn ich es richtig angestellt habe, bleibt am Ende das Gefühl, dass dunkle Zeiten vorbeiziehen und es trotz jedem Unwetter immer noch ganz viel Schönes und Magisches in der Welt gibt.
Oder in mehreren Welten 😉
Oberon, Titania, Robin Goodfellow – Diese Gestalten kennt man nicht nur aus der keltischen Mythologie, sondern auch aus dem Sommernachtstraum. Bist du ein Shakespeare-Fan?
Total!!!
Ich liebe seine poetische Sprache, den Wortwitz, die Irrungen und Wirrungen seiner Komödien. Die Stücke, in denen er Sagen oder Mythologien miteinflechtet mochte ich immer besonders.
Wo wir's doch vorhin von fantastischen Wesen hatten: Bei Shakespeare findet man da auch eine Menge. Sycorax, Ariel & Caliban aus Der Sturm zum Beispiel. Und natürlich die Feen aus Ein Sommernachtstraum.
Rose & Bramble haben übrigens auch einen Shakespeare Bezug. Ihre richtigen Namen Viola & Olivia habe ich mir aus Was Ihr Wollt 'geliehen'. In dem Stück verliebt sich eine Gräfin in ein Mädchen, dass sich als Junge verkleidet.
Überhaupt gibt es ganz viel gender fluidity & proto-queerness in Shakespeare. Das finde ich natürlich auch spannend.
Was bringt Dich dazu, Romane zu schreiben? Und warum wolltest Du ausgerechnet diese Geschichte erzählen?
Schreiben wollte ich schon immer.
Ist wirklich so. Sobald ich schreiben konnte, habe ich angefangen, Geschichten aufs Papier zu bringen. Erst mit Stiften im Hausaufgabenheft, dann mit einer alten Schreibmaschine, die ich in der Rumpelkammer meiner Großeltern gefunden habe.
Der Brombeerfuchs war eine dieser Geschichte, die wie ein Samenkorn in dein Herz fällt und dann einfach wächst und wächst.
Die erste Idee dazu hatte ich, als ich während des Studiums in Wales gewohnt habe: Ein Fuchs, ein Mädchen mit wilden schwarzen Locken, ein Portal in die Anderswelt.
Der Rest entwickelte sich mit der Zeit und ich habe so, so viel einfließen lassen, was ich selbst mag: Gestaltwandler, walisische Mythologie, Kinder, die nicht in stereotype Mädchen/Jungs Schubladen passen, ein Cottage, ein älteres lesbisches Pärchen und eine geheime Welt hinter der Gartenhecke.
Erzählst Du uns ein bisschen etwas über Deinen Schreibprozess? Schreibst Du chronologisch?
Hm. Also, zuerst sollte ich gestehen: Ich schreibe sehr langsam.
Das hat zum einen damit zu tun, dass ich neben dem Schreiben noch einen Beruf ausübe.
Zum anderen durchlaufen meine Bücher mehrere Phasen. Mein erster Entwurf ist immer sehr provisorisch und löchrig – die erste grobe Skizze der Geschichte, sozusagen. In dieser Phase schreibe ich chronologisch, aber ich überspringe manchmal Kapitel, wenn ich noch nicht genau weiß, wie ich sie schreiben will – oder ob sie tatsächlich nötig sind.
Im zweiten Entwurf entsteht dann ein zusammenhängender, lesbarer Text. Die Geschichte nimmt Gestalt an, die Figuren bekommen mehr Profil, die Atmosphäre wird deutlich.
Im dritten Entwurf wird dann nochmal alles geprüft – passt der Spannungsbogen, ist die Charakterentwicklung sinnvoll und mitreißend, klingt die Sprache gut, solche Sachen.
Und dann kommen natürlich noch die Durchgänge mit Testleser*innen und meinen Lektorinnen 😊
Und hast Du irgendwelche seltsamen Schreib-Gewohnheiten?
Hm. Mal überlegen. Vielleicht die: Wenn ich plotte, plotte ich nie das letzte Drittel des Buches.
Ich habe zwar meistens eine grobe Vorstellung davon, wo die Geschichte hingehen soll und was der große Konflikt ist, aber das Ende lasse ich mir zumindest beim Planen des ersten Entwurfs offen.
Ich befürchte nämlich, dass ich keine Lust mehr habe, die Geschichte zu schreiben, wenn ich selbst das Ende schon kenne.
Auch wenn wir als Autoren Geschichten erfinden, spielt Recherche oft eine große Rolle. Was war das seltsamste Thema, über das Du bisher recherchiert hast?
Au weia! Zahnbürsten im Mittelalter (gab es die überhaupt?), wie und wann weben Raupen ein Gespinst.
Oh, und die Legende der Mari Lwyd!
Dahinter steckt ein walisischer Brauch, der vermutlich auf die Anbetung der keltischen Göttin Rhiannon zurückgreift. Zur Mittwinterzeit ziehen Waliser, die den Brauch ausüben, durch die Dörfer, singen und klopfen an Türen in der Hoffnung, etwas zu essen oder zu trinken zu bekommen. Angeführt werden sie dabei von Mari Lwyd, einer als Pferd verkleideten Person. Um genau zu sein: Einer Person, die sich mit dem Knochenschädel eines Pferdes und jeder Menge bunter Bänder verkleidet.
Wirklich seltsam – aber faszinierend!
Was für Romane – oder was für eine Art von Romanen – begeistern Dich als Leserin?
Ich lese total querbeet. Ich liebe urban fantasy & bin zum Beispiel ein Fan von Neil Gaiman und Seanan McGuire.
Ich mag's gern gruselig, deshalb stehen in meinem Regal viele Stephen King Romane, aber ich liebe auch Kinderbücher. Die letzten, die mich da sehr begeistert haben, waren France Hardinges Schattengeister und Kirsten Boies Ein Sommer in Sommerby.
Für mich braucht ein Roman auf jeden Fall eine packende Geschichte, Charaktere, mit denen ich mitfiebere und Beschreibungen, die mich an andere Orte entführen. Wenn die Autorin oder der Autor dann noch ein Händchen für Sprache und Sprachklang hat bin ich hin und weg.
In den vergangenen Jahren sind mehr und mehr Bücher erschienen, in denen LGBT*-Figuren große Rollen spielen. Das Thema liegt auch Dir am Herzen. Glaubst Du, dieser Trend wird anhalten? Und gibt es in diesem Zusammenhang dennoch etwas, was Du auf dem derzeitigen Buchmarkt vermisst?
Ich hoffe sehr, dass der Trend anhalten wird. Zum einen bin ich sehr froh, dass sich in den letzten Jahren so viel getan hat. Als ich noch auf der Schule war, gab es LGBT* Figuren in Büchern oder Filmen entweder gar nicht, oder sie hatten tragische Geschichten.
In Fantasy & Science Fiction wurde man manchmal fündig, aber auch da waren schwule oder lesbische Held*innen rar. Und die Darstellung von trans, ace, bi oder anderen queeren Identitäten? Da sah's noch viel schlechter aus.
Mittlerweile wird die Auswahl in den Buchhandlungen vielfältiger und es gibt so wundervolle Werke wie Franz Orghandls Der Katze ist es ganz egal, oder Jessica Loves Julian ist eine Meerjungfrau.
Es werden buntere Familienmodelle präsentiert, mehr Spielraum beim Ausleben der eigenen Identität gelassen. Das ist wunderbar und so, so wichtig. Denn die Welt ist bunt und wir Menschen passen einfach in keine engen Schubladen.
Die Illustratorin Constanze von Kitzing hat das neulich ganz schön ausgedrückt: "Jedes Kind muss die Möglichkeit haben sich in Büchern wiederzufinden!"
Das gilt natürlich ganz wörtlich für alle Kinder – egal, wovon sie träumen, was sie gern anziehen, womit sie gerne ihre Zeit verbringen, wie ihre Familien gestrickt sind oder welche Farbe ihre Haut hat.
Was die Repräsentation von LGBT* Welten & Identitäten angeht, haben da schon riesige Schritte gemacht, finde ich. Ich würde mir wünschen, dass es so weitergeht und dass auch die deutschsprachige Kinder- und Jugendliteratur noch bunter wird (in jeder Hinsicht).
Es ist super, dass mittlerweile mehrere Verlage englische Bücher mit LGBT* Themen einkaufen & übersetzen, aber ich denke, da gibt es noch einige deutschsprachige Kinder- und Jugendbuchautor*innen die mit ihren Geschichten unsere Literaturlandschaft bereichern könnten.
Und falls hier gerade jemand mitliest, die oder der genau solche Geschichten schreibt – macht unbedingt weiter! Erzählt, was euch am Herzen liegt! Irgendwo sitzt ein Mensch, der sich genau in eurer Geschichte wiederfinden wird.
Was steht für Dich als Autorin als nächstes an? Darfst Du uns verraten, woran Du gerade arbeitest? Und hast Du genug von Robin Goodfellow, oder könntest Du Dir vorstellen, noch einmal die Pforte zur Anderswelt zu überschreiten?
So richtig verraten, woran ich gerade arbeite, darf ich leider noch nicht. Aber es wird wieder ein Kinderbuch, es kommen auch ein paar merkwürdige Wesen darin vor, und es wird voraussichtlich im Herbst 2021 bei Fischer Sauerländer erscheinen.
Ob ich mir vorstellen könnte, in die Anderswelt zurückzukehren? Absolut!! In meinem Kopf geht die Geschichte von Robin & Co. längst weiter. Und falls viele von euch die Geschichte auch lesen wollen, darf ich sie vielleicht auch noch schreiben 😊
Fun Question: Wenn Du einige fiktive Figuren zum Tee oder Abendessen zu Dir einladen könntest, für wen würdest Du Dich entscheiden? Und warum?
Oh ha! Ich würde Rico aus Andreas Steinhöfels Rico und Oskar-Büchern einladen, weil der einfach nur liebenswert ist und niemand die Welt besser erklärt. Enola Holmes, weil sie die Teerunde ordentlich aufmischen würde. Und Lizzie Bennett, weil die beiden sich glaube ich prima verstehen würden.
Vielen Dank, Kathrin!
Falls ihr mehr über Kathrin oder den Brombeerfuchs erfahren möchtet, empfehle ich euch, sie mal auf Instagram zu besuchen.
Verlagsseite zum Brombeerfuchs: hier klicken.
Die Fotos im Beitrag stammen von Lotte Ostermann (Kathrin mit Teetasse), mir (Buchfoto Brombeerfuchs und Spiegelfluch und Eulenzauber) und Stephan Bellem (Kathrin mit Buch vor grünem Wasser).