Wie ich einmal ein Fax verschickte

Reportage von Fritz Tietz (1989)

In den 1980er Jahren war das Faxen endgültig State of the Art geworden in Deutschland. Auch der Autor Fritz Tietz (aka Bob Jokusch) nutzte den coolen Fernkopierdienst der Bundespost zur schnellen Textübertragung. Im September 1989 machte es die innovative Fax-Technologie sogar möglich, dass er und die Zeichnerin Yvonne Kuschel ihre gemeinsame Kolumne "Stadt, Land, Fluß" von Italien aus bedienten. Eine kommunikationstechnische Sensation. Wie das im Detail funktionierte, hat Tietz seinerzeit aufgeschrieben. Damit setzte er schon damals der aktuell eher ausklingenden Fax-Ära ein quasi thermopapiernes Denkmal.

Die Redaktion erwartete den Text am 11. September. Das bedeutete, dass Frau Kuschels Zeichnungen mindestens eine Woche vorher mit der Post geschickt oder, falls sie mehr Zeit benötigen würde, allerspätestens am 10.9. per Intercity-Kurier von der vier Autostunden entfernten Schweiz nach Hamburg hätten transportiert werden müssen. Diese Logistik erwies sich aber als so umständlich, dass wir entschieden: Die Zeichnungen gehen ebenfalls per Fax nach Deutschland. Frau Kuschel besorgte sich einen schwarzen Filzer, auf dass ihre Illus auch im Faxausdruck kontrastreich genug gerieten, und siehe da: einen Tag vor Ultimo war alles fertig.

Dank seiner Beziehungen würde ich auf Kosten der Kommune vom Rathaus in Pescia aus faxen können, hatte mir Renato zugesichert. Ein Anruf genüge. Als er den am nächsten Morgen tätigte, schien sein Kontakt nicht mehr ganz so dolle. Jedenfalls zog er danach ein recht bekümmertes Gesicht. Meine neun Seiten, so hatte man ihm bedeutet, seien für Pescias Fax-Budget ungefähr acht zu viel.

Für die Fahrt nach Montecantini, zu der mir Renato nun riet, um im dortigen Postamt mein Faxglück zu versuchen, brauchte ich – inklusive eines eiligen Espressos bei der schönen Bariste in Pescia – eine Stunde. Als ich endlich einen Parkplatz im Kurviertel gefunden hatte, begann es zu regnen. ”No mi dispiace”, beschied mir eine spektakulär geschminkte Dame in der imposant möblierten Schalterhalle, faxen ginge nur in Pistoia. Mit einer macchina könne ich es bis zur Mittagspause schaffen. ”Nessun problema. Ciao!”

Trotz des starken Regens gelang es mir, Text und Zeichnungen trocken in den Ascona zu retten. Alles andere war so naß, dass die Scheiben blickdicht beschlugen. Aber bis das Gebläse so weit wäre, hätten sich Pistoias Postler längst im Mittagsschlaf befunden. Also musste ich mich quasi im Blindflug durch den dichten Stadtverkehr zur Autobahn manövrieren. Spätestens dort blickte ich dann aber wieder durch. 

Die Maut kostete mich 1.500 Lire, die Suche nach einem Parkplatz in Pistoia eine halbe Stunde. Ausgestattet nun mit einem Regenknirps, den ich im Ascona gefunden hatte, und einer Plastiktüte für Manuskript und Illus eilte ich in Richtung centro, wo ich die Post vermutete. Ich hatte ja keinen Schimmer. Und der Schirm ließ sich nicht öffnen. 

Doch der Regen ließ nach und bald brach sogar die Sonne durch. Der viel zu schwarze Pullover, für den ich mich angesichts des grauen Himmels morgens entschieden hatte, bescherte mir deshalb heftigen Schweißfluss, als ich auf ein Haus mit etliche Antennen zuhielt. Das mußte doch die Post sein! Aber es war bloß ein von grimmigen Maschinenpistoleros bewachtes Quartier der Militärs. Vor Schreck lief ich in die nächstbeste Straße und – kaum zu glauben – da war sie: die Post von Pistoia. 

Man verwies mich in die Telegrammabteilung und dort stand – ich sah's deutlich hinter der Trennscheibe – ein Faxgerät. Aber aus bestimmten Gründen ging damit das Faxen nicht. Jedenfalls nicht nach Deutschland. Obwohl es mir zwei Postler gleichzeitig in lebhaftestem Italienisch zu erklärten versuchten, verstand ich immer nur franco forte, hatte aber keine Ahnung, was das sein sollte.

Ein Postkunde, dessen linkes Brillenglas einen Sprung hatte, schaltete sich ein, sprach in harschem Tonfall mit den Postlern. Seinen abfälligen Gesten nach, schien er sich über mich zu beschweren. Was dieser blöde tedesco da – seine Hand wedelte mehrmals in meine Richtung – sich einbilde: Ein Fax nach Deutschland schicken, aber null Italienischkenntnisse! So reimte ich mir seine Wutrede zusammen. Bis er plötzlich sanft meinen Arm ergriff und mir auf überraschend liebenswürdige Weise zu verstehen gab, dass er mich zur informazioni turistiche bringen wolle. Na gut. Warum nicht.

Nachdem er der dort Dienst Schiebenden einen abermals wortreichen Vortrag gehalten hatte, sprach die mich auf Deutsch an. So erfuhr ich, dass das direkte Anfaxen eines Hamburger Privatanschlusses von Pistoia aus nicht ginge. Möglich sei das nur zu einer deutschen Zentralstelle, von wo mein Fax dann entweder als Brief oder vielleicht auch als Fernkopie, das wisse mein Begleiter nicht so genau, an die Zieladresse weitergeleitet werden würden. Die Zentralstelle aber läge in Francoforte – also Frankfurt, wie ich jetzt endlich begriff.

Per Post weiter ab Frankfurt ginge aus Termingründen absolut nicht, ließ ich die Tourist-Dame an meinem inzwischen deutlich gestiegenen Abgabedruck teilhaben. Und selbst wenn die neun Seiten weiter gefaxt würden: Müssten sie dazu in Frankfurt nicht erst mal ausgedruckt werden, bevor sie über eine nationale Faxleitung weiter nach Hamburg gedrahtet würden? Das aber, so fürchtete ich, könnte für die Zeichnungen eine dramatische Qualitätsverschlechterung bedeuten.

Die Frau begriff. Nach einer kurzen Beratung mit Häuptling Kaputte Brille, schrieb sie mir eine Adresse der ”Credito Italiano” auf. Deren hiesige Filiale verfüge, wie sie wußte, nicht nur über ein Faxgerät, sondern auch über ”eine Dependance in Hamburgo”. Das zusammen begründe ihre Hoffnung, dass es heute noch auf direktem Wege klappen könne mit meiner Sendung.

Brille ließ es sich nicht nehmen, mich auch zu dieser Anlaufstelle zu begleiten und dem erstbesten Banker meine Lage zu schildern. Der versprach, einen deutschsprechenden Kollegen herbei zu ordern, müsse nur vorher noch einige unaufschiebbare Telefonate führen. Als Brille nach zehn Minuten immer häufiger zur Uhr lugte, bot ich ihm an, die Faxsuppe alleine auszulöffeln. Aber davon wollte er nichts wissen. Allem Anschein war er nun selbst viel zu neugierig geworden, wie die Sache ausging. 

Endlich tauchte der Banker wieder auf, und mit ihm ein junger Mann, der mich überschwänglich auf Deutsch begrüßte. Es behagte ihm sichtlich, vor dem Kollegen in einer Fremdsprache zu brillieren. Mich konnte er aber nicht begeistern: Nein, Faxen ginge leider nicht, weil der Fax-Beauftragte momentan nicht zu erreichen sei und niemand die Verantwortung übernehmen könne. Aber in Firenze, wie er den italienischen Stadtnamen leichthin in seine deutsche Rede einflocht, sei das Faxen auch direkt nach Hamburg möglich. Er kenne jemanden bei der Zeitung ”La Nazione”, mit dem er sogleich alles telefonisch klären werde. Und das tat er dann auch. 

Brille zeigte sich zuversichtlich, gab mir aber zu verstehen, dass er seine Faxfinderdienste auf Firenze leider nicht mehr ausweiten könne. So hieß es, Abschied nehmen. Da mir keine passenden Dankesworte einfielen, wollte ich zu einer herzlichen Umarmung ansetzen, vor der er aber pikiert zurückwich. So beließen wir es bei einem festen Händedruck, während dem wir uns lange in die Augen blickten. Bis mir doch noch was italienischartiges einfiel: ”Tausend grazie, amigo!”

Kaum war er weg, kam der Banker wieder. Alles klar! Sein Freund würde mich zu einem Faxbüro begleiten. Ich sollte nur möglichst schnell zur ”Nazione” kommen, deren Redaktionsgebäude sei nicht zu verfehlen. Na bitte! Auf nach Florenz. 

Aber wie jetzt ohne Brille den Weg zum Ascona finden? Ich sprach drei Jugendliche an, zwei Jungen, ein Mädchen: ”Scusa, dove stazione?”, denn irgendwo in Bahnhofsnähe hatte ich geparkt. Das Mädchen reagierte sofort: ”Deutsch!” rief es begeistert, um mir dann in meiner Sprache den Weg zu weisen. Allerdings: Für ”Geradeaus, dann rechts und nach 500 Metern links!” brauchte sie gut fünf Minuten. Nicht, weil ihr die Vokabeln fehlten, sondern weil, immer wenn sie auf deutsch ansetzte, die Jungs sie derart nachäfften, dass sie nur noch kichern konnte.

So problemlos es war, aus Pistoia raus zu gelangen, so verfahren entpuppte sich die Verkehrslage in Florenz. Von zwei Möglichkeiten, die autostrada zu verlassen, entschied ich mich spontan für die falsche, wie ich aber erst bemerkte, als ich mich auf einer Hochstraße Richtung Siena wieder fand. Zwar gab es nach fünf Kilometern eine Abfahrt Richtung centro. Aber da hatte ich längst den vom Banker beschriebenen Weg zur ”Nazione” verloren. Sorgen bereitete mir zudem die Spritanzeige.

Nach einigen tollkühnen Richtungswechseln verlor ich im quirligen Stadtverkehr die Orientierung. Drei mal fand ich mich an derselben unüberschaubaren Kreuzung wieder, ohne dass die dadurch überschaubarer wurde. Dann fuhr ich auf einer Ausfallstraße Richtung Rom. Also zurück. Und wieder die verdammte Kreuzung. Dann querte ich den Arno und schien nun endgültig verloren.

Ich wurde zusehends nervöser. Nicht nur der galoppierenden Zeit wegen. Längst zitterte auch die Tankuhr im dunkelroten Bereich. Doch denkste: Alle Tanksäulen, die ich zahlreich an den Straßenrändern ausmachte, waren chiuso. Klar, es war höchste Mittagszeit, da machte halb Italien Siesta. Um nicht mit leerem Tank zu stranden, parkte ich den Ascona in einer Nebenstraße. Puh! Erst mal eine rauchen. Hatte ich vor Aufregung ganz vergessen.

Schnell noch die Straße (Via Giotto) notiert, ehe ich dorthin eilte, wo ich vorhin einen Taxenposten … aber es stand keine Taxe da, so dass ich weiter Richtung centro rannte, – hätte dazu allerdings eine dicht und schnellst befahrene Magistrale überqueren müssen, was mir nicht gelang. Also lief ich auf dieser Seite weiter, und was sah ich? ”La Nazione” prangte an einem Bürogebäude.

Die beiden Pförtner zuckten nur mit den Schultern. Der Name des Bankerfreundes sagte ihnen nichts. Und von einer Technologie namens Fax hatten sie noch nie gehört. Ohne ihre Zigaretten aus den Mündern zu nehmen, grinsten sie mich freundlich an.

Draußen fand ich auf Anhieb zwei Taxen. Und einer der Fahrer verstand mich sogar: Ja, so ein Faxbüro gäbe es in der Nähe. 8200 Lire kostete mich die eh kurze Fahrt zur Piazza della Indipendenzia, die mein Fahrer noch mal auf so halsbrecherische Weise verkürzte, dass ich ihm schon aus Dankbarkeit, sie überstanden zu haben, 800 Lire Trinkgeld gab. 

Dumm nur: Ein Faxbüro war nirgends zu entdecken. Ich betrat einen Laden, dessen Geschäftszweck sich mir nicht erschloß – es stand lediglich ein Schreibtisch darin – aber der junge Mann dahinter konnte mir glaubhaft versichern, dass ich in dieser Gegend mit Sicherheit kein Faxgerät finden würde. Nach einem  Blick ins Telefonbuch schickte er mich zur 500 Meter entfernten Piazza San Marco.

Ich transpirierte immer heftiger, als ich mich nunmehr im Laufschritt auf den beschriebenen Weg begab. Ich hatte keine Ahnung, wo in Florenz ich mich befand, aber die vielen herumstreunenden Touristen deuteten darauf hin, dass es zu den florentinischen Sehenswürdigkeiten nicht weit sein konnten. Es begann erneut zu nieseln.

Das Faxbüro aus dem Telefonbuch entpuppte sich als Copy Shop, der geschlossen war. Wann er wieder öffnete, ging aus den Zetteln an der kettengesicherten Eingangstür nicht hervor. Sollte ich warten? Ein Blick durch das Schaufenster riet mir: Lieber nicht, denn außer einigen verstaubten Kopiergeräten war da nichts zu entdecken. Ich wankte in eine Bar. ”E una bottiglia di acqua minerale, per favore. – ”Con gas?” – ”Si, con gas, per favore!”

Weiter ging’s. Auf gut Glück wieder Richtung dome. Nach fünf Minuten passierte ich einen Laden der Telefongesellschaft SIP. Doch auch hier nur Achselzucken. Ob ich es schon bei der Post versucht hätte? Na gut. Vielleicht lief das ja hier anders. Vielleicht konnte ich von Florenz aus direkt die Redaktion anfaxen. Handelte sich ja schließlich um eine Art Weltstadt. 

Der Wegskizze nach, die man mir im SIP-Laden aufgemalt hatte, waren es zur Post an der Piazza della Republica nur wenige Schritte. Aber dann zeigte ich sie einem Busfahrer, der zeitungslesend vor einem Lazzi-Büro stand. Der lachte nur einmal laut auf und empfahl mir eine viel nähere Post – die allerdings, wie sich zwei Minuten später herausstellte, erst nächsten Tag wieder öffnete. Ein Zeitungsverkäufer schickte mich zurück. Also noch einmal über den vor Tauben flatternden Domplatz, an der berühmten Basilika vorbei; da war man in Florenz, aber es reichte gerade mal zu einem gehetzten Blick auf all die Pracht.

Auch die Piazza della Republica erwies sich als sehenswürdiger Ort: Arkadengänge, Cafés, prachtvolle Gebäude. Aber mich interessierte nur eins: ”Dove poste?” fragte ich eine Art Schutzmann, dabei stand ich, wie er mit einem spöttischen Daumen andeutete, direkt davor.

”Telefax?” – ”Si, telefax!” Immerhin sprach der Schalterbeamte englisch, so dass ich gut verstand, was er mir erklärte: dass nämlich ein Fax nach Deutschland nur über Francoforte … Ich verdrehte die Augen. - ”Why?” herrschte ich ihn so entgeistert an, dass er erstaunt die Augenbrauen hoch zog. Ob ich nicht auch von irgendwo aus Hamburg direkt anfaxen könne? ”No, niente,” sagte er, wollte es mir aber bloß nicht verraten, so jedenfalls mein, wenn auch durch nichts gerechtfertigter Verdacht.

Jetzt lief mir die Suppe nur so runter. Mein Fax hätte vor drei Stunden in Hamburg sein müssen. Und dann kam auch noch plötzlich dieser beißende Druck dazu. Blieb mir denn nichts erspart? Also raus aus der Post und rein in ein Reisebüro gegenüber. - Nein, sie hätten kein Kundenklo. - Vielleicht ein Faxgerät? - No. Ob ich’s schon bei der Post …? Na, dann vielleicht mal in dem Hotel da versuchen.

”I have a big problem!” Der Rezeptionist lieh mir geduldig sein Ohr. - ”Momento!” Während er telefonierte, sah ich eine Comiczeichnug an seinem Terminal hängen, deren Aussage ich, auch ohne die Sprechblase übersetzen zu können, sofort verstand: Touristen nerven! Na, zum Glück war ich ja keiner. 

Dann legte der Rezeptionist eine Hand auf die Sprechmuschel, um mich zu fragen, ob ich darauf spekulierte, ihr Telefaxgerät regelmäßig zu nutzen. Nein nein, versicherte ich ihm, es handele sich um eine Notlage und ich würde hernach nie mehr einen Fuß in dieses Hotel setzen. Worauf er wieder eine Weile in den Hörer sprach. Dann legte er auf. ”Was denn jetzt?” hörte ich mich innerlich brüllen, weil er unmenschlich lange schwieg, bevor er mit ”I’m sorry” anhob, mir die Faxlage zu erörtern: Ihr Gerät sei überlastet, dringende Nachrichten müssten raus, andere würden erwartet. Da könne man mich leider nicht dazwischen lassen.

Tietz’ Reportage bricht hier ab. ”Jetzt habe ich das Faxen aber dicke”, sind ihre letzten Worte. Da jedoch besagte Kolumne mit einigen Reiseeindrücken und drei Fax-Zeichnungen Frau Kuschels in der nächsten KOWALSKI-Ausgabe (10/1989) erschienen ist, muss er das Fax irgendwie  abgesetzt bekommen haben.

Damals leider State of the Unart: Die unbekümmerte Verwendung von Z- und N-Wort. Hier aus  Gründen nachträglich getilgt.




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